"Quereinsteigerin mit Erfahrung"

Interview von Paulette Lenert im Luxemburger Wort

Interview: Dani Schumacher (Wort)

Wort: Paulette Lenert, Sie sind als Quereinsteiger in die Regierung gekommen. Was hat Sie dazu bewogen, sich politisch zu engagieren? 

Paulette Lenert: Ich habe mich schon als Jugendliche für gesellschaftspolitische Fragen interessiert. Als Richterin war ein politisches Engagement natürlich nicht möglich. Ich habe die politischen Entwicklungen aber stets aufmerksam verfolgt. Als Romain Schneider vor einigen Jahren bei mir angeklopft hat, habe ich die Magistratur zunächst vorübergehend verlassen. Aus dem Provisorium wurde aber eine Dauerlösung. Ich bin im Ministerium für den öffentlichen Dienst "hängen" geblieben. Die Entscheidung, in die Politik zu gehen, ist erst gefallen, als ich mich durchgerungen hatte, den Richterberuf endgültig an den Nagel zu hängen. Erst dann bin ich in die Partei eingetreten. Der Richterberuf ist zwar auch nahe am gesellschaftspolitischen Leben, doch es gibt im Gegensatz zur Politik keinen gestalterischen Spielraum. 

Wort: Stichwort öffentlicher Dienst. Nach den Wahlen waren Sie als Ministerin für dieses Ressort im Gespräch. Wie kam es dazu, dass Sie nun für die Ministerien für Entwicklungszusammenarbeit und für Verbraucherschutz verantwortlich zeichnen? 

Paulette Lenert: Ich wurde erst gegen Ende der Koalitionsverhandlungen kontaktiert. Zu dem Zeitpunkt war die Ressortverteilung so gut wie abgeschlossen. Aufgrund meiner Erfahrung hätte sich das Ministerium für den öffentlichen Dienst und die Verwaltungsreform in der Tat aufgedrängt. Es ist aber nicht unbedingt von Vorteil, wenn der zuständige Minister zuvor jahrelang als Beamter in dem Ressort tätig war. Manchmal ist es besser, wenn man nicht vorbelastet ist. Als langjährige Richterin hätte mich natürlich auch das Justizministerium gereizt, doch das Ressort stand natürlich nicht zur Disposition (lacht). 

Wort: Haben Sie sich schon in Ihren beiden Ressorts eingelebt? 

Paulette Lenert: Ja, ich denke schon. Am Anfang war es schon eine Herausforderung. Vor allem das Verbraucherschutzministerium, wo in einer ersten Phase hauptsächlich administrative Belange im Vordergrund standen. Es ging um Personalfragen, aber auch um das Budget. Dazu mussten noch einige grundsätzliche Fragen geklärt werden. Beispielsweise war zunächst nicht klar, ob der Bereich Lebensmittelsicherheit weiter im Gesundheitsministerium angesiedelt wird oder in das Resort Verbraucherschutz transferiert werden soll. Konsumentenschutz ist ein sehr weites Feld. Wir mussten also zunächst die Zuständigkeiten eingrenzen.

Wort: Wie weit reichen denn nun Ihre Kompetenzen als Verbraucherschutzministerin? 

Paulette Lenert: Das Ressort umfasst den Bereich Rechtsschutz, etwa die Passagierrechte. Es geht aber auch um Preiskontrollen und die Kontrolle der Märkte insgesamt. Diese Bereiche waren bislang im Wirtschaftsministerium angesiedelt, genau wie die Produktsicherheit, für die das Wirtschaftsressort weiterhin zuständig bleibt. Mir ist es wichtig, dass die Lebensmittelsicherheit komplett in die Zuständigkeit des Verbraucherschutzmmisteriums fällt. In der Vergangenheit teilten sich mehrere Ministerien und eine ganze Reihe Verwaltungen die Verantwortung. Und genau das ist das Problem. Es gab einerseits ein Kompetenzwirrwarr und andererseits gehörte die Lebensmittelsicherheit für keine der involvierten Behörden zum Kerngeschäft. Das 2018 gegründete Kommissariat für Lebensmittelsicherheit ist ein erster Schritt. Allerdings unterstand die Kontrollinstanz anfangs zwei verschiedenen Ministerien. Heute ist das Kommissariat ausschließlich dem Verbraucherschutzministerium unterstellt. 

Wort: Das Kommissariat für Lebensmittelsicherheit ist der erste Schritt, und wie sieht der zweite Schritt aus? 

Paulette Lenert: Mein Ziel ist eine Fachverwaltung, die für den gesamtem Bereich der Lebensmittelsicherheit zuständig ist, so wie dies im Regierungsprogramm vorgesehen ist. Zur Zeit laufen die ersten Gespräche, die Arbeitsgruppe kommt gut voran. Ich fürchte aber, der Teufel steckt wie so oft im Detail. Denn irgendwo müssen wir eine Trennlinie ziehen. Die zentrale Frage lautet: Wo beginnt die Lebensmittelkette? Theoretisch könnte man schon auf dem Acker beginnen ... Doch so weit werden wir wahrscheinlich nicht gehen. Ich bin mir bewusst, dass es nicht einfach sein wird, eine zentrale Verwaltung auf die Beine zu stellen. Reorganisationen von Behörden sind immer eine Herausforderung. Ich hoffe aber, dass das Projekt bis Ende des Jahres steht. Angesichts der Komplexität der Lebensmittelsicherheit brauchen wir unbedingt eine starke zusammenhängende Fachbehörde. Allein schon wegen der Betrügereien im Lebensmittelbereich, die mittlerweile ein riesiges Ausmaß angenommen haben. 

Wort: Wie ist es um die Verbraucherinformation gestellt? 

Paulette Lenert: Der Information der Konsumenten kommt eine herausragende Bedeutung zu. Es geht zum einen um die Rückverfolgbarkeit. Es geht aber auch um Informationen hinsichtlich der Produktion. Der Verbraucher muss in Erfahrung bringen können, welche Auswirkungen die Herstellung beispielsweise auf die Umwelt hat, oder unter welchen Bedingungen ein Produkt hergestellt wurde. Die Informationen müssen verständlich, einfach zugänglich und an einer einzigen Stelle gebündelt werden. Wenn wir all diese Informationen liefern, besteht die Möglichkeit, dass das Verantwortungsbewusstsein der Verbraucher geschärft wird und dass sich das Konsumverhalten langfristig ändert. Nur so können wir der Wegwerfkultur etwas entgegen setzen (sic!) und zu einem nachhaltigeren Konsum beitragen. 

Wort: Wie sieht es mit den Sammelklagen aus, die im Regierungsprogramm in Aussicht gestellt wurden? 

Paulette Lenert: Der Regierungsprogramm sieht Sammelklagen im Bereich Konsumentenschutz vor. Das werde ich auch umsetzen. Als ehemalige Richterin könnte ich mir aber auch Sammelklagen in anderen Bereichen vorstellen, etwa Umwelt- oder in Gesundheitsfragen. In einigen Ländern gibt es diese Möglichkeit schon länger. Luxemburg hinkt in dem Punkt den meisten europäischen Ländern hinterher. Ich wage mich also mitnichten auf neues Terrain vor. Sammelklagen sind meiner Meinung nach ein elementarer Bestandteil eines modernen Rechtsstaats. Durch Sammelklagen werden keine neuen Rechte geschaffen. Auch wenn sie zusammen vor Gericht ziehen, bekommen die Kläger nur das, was ihnen zusteht. Ich sehe also keinen Grund, weshalb man Sammelklagen auf den Bereich Konsumentenschutz beschränken soll. 

Wort: Gibt es zu den Sammelklagen schon konkrete Ansätze? 

Paulette Lenert: Die Arbeiten laufen. Mir ist es wichtig, dass die betroffenen Akteure wie die Union des entreprises luxembourgeoises und die Union luxembourgeoise des consommateurs von Anfang an eingebunden werden. Bei ersten Vorgesprächen habe ich ihre Meinung zu dem Thema eingeholt. Im Herbst geht es in die zweite Runde. Bei dem Gesetz werde ich mich an den bestehenden europäischen Texten orientieren. Wir können von den Erfahrungen der anderen Länder nur profitieren. 

Wort: Welche Erfahrungen haben Sie in den ersten acht Monaten als Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit gemacht? 

Paulette Lenert: Beim Verbraucherschutz kann ich auf die Erfahrungen aus meiner Zeit als Richterin zurückgreifen. Die Kooperationspolitik ist für mich hingegen ein weitestgehend neues Feld. Beeindruckt hat mich bislang vor allem das enorme Engagement der Zivilbevölkerung. Zusätzlich zu den staatlichen Mitteln investieren die Hilfsorganisationen große Summen in die Entwicklungshilfe. Beeindruckt hat mich darüber hinaus der Einsatz der vielen Ehrenamtlichen, aber auch der Gemeinden. Luxemburg ist ein Land, in dem die Solidarität einen hohen Stellenwert hat. Dieses Engagement zeichnet das Land aus. Mich macht dies stolz. . 

Wort: Luxemburg gilt bei der Entwicklungszusammenarbeit als Musterschüler. Wird das so bleiben? 

Paulette Lenert: Ja, wir werden weiterhin ein Prozent unseres Nationaleinkommens in die Entwicklungshilfe investieren. Es ist wichtig, dass wir unserer (sic!) Engagement weiterführen. Weltweit geht die Hilfsbereitschaft nämlich zurück, allein im vergangenen Jahr war das Budget für die Entwicklungshilfe weltweit um 2,7 Prozent rückläufig. Zahlreiche Länder fahren ihre Hilfe zurück, viele halten ihr Versprechen, 0,7 Prozent des Nationaleinkommens für die Kooperation bereitzustellen, nicht ein. Die Herausforderungen werden aber nicht kleiner. Sicher, es gibt Fortschritte bei der Armutsbekämpfung, doch in absoluten Zahlen nimmt die Armut weiter zu. Man muss vor Augen halten, dass sich hinter den Zahlen Einzelschicksale verbergen. Darüber hinaus wird immer mehr Geld für die humanitären Krisen gebraucht. 

Wort: Wie wollen Sie im Bereich der humanitären Hilfe weiter vorgehen? 

Paulette Lenert: Wenn die Kamerateams abziehen, geraten humanitäre Krisen, wie beispielsweise die Überschwemmungen in Mozambique (sic!), ganz schnell in Vergessenheit. Solange die Medien berichten, fließt Geld. Doch dann ist Schluss. Dabei sind oft die aller ärmsten Länder betroffen, wie etwa Bangladesh (sic!), wo über eine Million Menschen unter unmenschlichen Bedingungen in riesigen Camps leben müssen. Die Krisen nehmen unwahrscheinliche Ausmaße an, nicht zuletzt wegen des Klimawandels. Hinzu kommt, dass viele der großen Flüchtlingscamps mittlerweile dauerhaften Charakter haben, Beispiel Uganda oder Libanon. Es stehen international nicht mehr genügend finanzielle Mittel zur Verfügung, um diese Krisen zu bewältigen. Wir müssen uns überlegen, ob wir in Zukunft nicht mehr Geld für die humanitäre Hilfe bereit stellen sollen. Hier geht es um Basissolidarität. Das Beispiel der Rohingya in Bangladesh zeigt, dass Entwicklungshilfe in solchen Situationen überhaupt nicht möglich ist. Die Situation ist so schlimm, es gibt dort schlicht keine Entwicklungsmöglichkeiten. 

Wort: Bei der Ersthilfe in Krisensituationen hat das Projekt Emergency.lu weltweit Anerkennung gefunden. Wird das Programm ausgebaut? 

Paulette Lenert: Die Kommunikation ist in Krisensituationen wesentlich, erstens um das Ausmaß der Katastrophe zu ermitteln, aber auch um den Einsatz der verschiedenen Akteure vor Ort zu koordinieren. Luxemburg hat sich auf dem Gebiet der Krisenkommunikation in der Tat einen Namen gemacht. Wir verfügen über die nötige Expertise. Auch dies ist Nation Branding, auch wenn ich den Begriff im Zusammenhang mit der Kooperationspolitik nicht mag. Systeme wie Emergency.lu kommt eine immer größere Bedeutung zu. Krisen sind bis zu einem gewissen Punkt vorhersehbar. Deshalb setzen wir auf das Konzept der "preparedness". Es werden Notfallpläne ausgearbeitet, nach dem Motto: Was müssen wir tun, wenn dies und das passiert. Wir müssen also mehr in Schulungen investieren, für die Mitarbeiter hier in Luxemburg, aber auch vor Ort in den Risikoregionen. Insgesamt wird die Technik bei der Entwicklungszusammenarbeit, vor allem aber bei der humanitären Hilfe immer wichtiger. 

Wort: Wird sich etwas bei den Partnerländern ändern? 

Paulette Lenert: Ich halte an der Strategie der vergangenen Jahre fest. In absehbarer Zeit werden keine neuen Partnerländer hinzukommen. Ich will unsere sieben Zielländer kennenlernen, damit ich genau weiß, was dort passiert. Ich war vor kurzem in Cabo Verde. Wir begleiten das Land seit langem und unsere Arbeit trägt Früchte. Heute gilt Cabo Verde nicht mehr als Entwicklungsland. Man kann nun die Frage aufwerfen, ob unsere Hilfe noch gebraucht wird. Ich bin der Meinung, dass gerade in dieser Übergangsphase eine Begleitung wichtig ist. Wir fokussieren uns deshalb auf die Nachhaltigkeit. Klimaschutz und erneuerbare Energien spielen bei unseren Projekten eine wesentliche Rolle. Wir bilden zudem Jugendliche in grünen Berufen aus und wir setzen auf Weiterbildung in dem Bereich. Es gibt auch Überlegungen, andere Ministerien verstärkt mit an Bord zu nehmen, damit spezifische Projekte zum Beispiel über den Klimafonds gefördert werden können. 

Wort: Angesichts der Migrationskrise wird immer wieder die Forderung laut, die Fluchtursachen durch mehr Kooperationspolitik zu bekämpfen. Ist dies ein gangbarer Weg? 

Paulette Lenert: Entwicklungspolitik ist keine Migrationskontrolle. Man muss vorsichtig sein. Vor allem darf man die zur Verfügung stehenden Finanzmittel nicht umschichten. Die Idee darf aber auch kein Tabu sein. Je weiter ein Land entwickelt ist, desto weniger Menschen verlassen ihre Heimat, um ihr Glück anderswo zu suchen.

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